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Al Imfeld – Mein Tag als Autor

FOTOS UND TEXT: Hans-Jürgen John

Der Publizist und Religionswissenschaftler Al Imfeld an seinem Arbeitsplatz im Unruhestand.
Der Publizist und Religionswissenschaftler Al Imfeld an seinem Arbeitsplatz im Unruhestand.

Al Imfeld – Mein Tag als Autor

«Von meinen fast 50 Büchern liegt mir immer das letzte sehr am Herzen. Im Januar veröffentlichte ich ‹Afrika im Gedicht›. Poesie, die afrikanische Autoren zwischen 1964 und 2014 schufen.

Früher stand ich regelmässig um sechs Uhr auf. Heute begann ich den Tag mit einer Tasse Kaffee um halb acht. Ich schrieb an einem Text für die Arthur Waser Stiftung in meiner Funktion als beratendes Mitglied für Afrikafragen.

Als Einstimmung in den Tag und zur Mobilisierung des Gehirns lese ich drei Tageszeitungen. Dabei kommen mir Ideen. Mein Thema ist das Leiden der Menschen in dieser Welt. Das treibt mich um und an. Ich kann einfach nicht fassen, dass es so viel Elend in dieser Welt gibt. Warum nehmen die Menschen ihr Schicksal nicht in die Hand? Kein Gott und kein Teufel schickt ihnen Prüfungen. Sie selbst sind verantwortlich für ihr Handeln.

Ich habe Freude am Schreiben. Gleichzeitig ist es ein grosser Frust. Ich denke oft, Musiker seien besser dran. Sie können mit ihren Tönen alles machen. Wir Autoren haben Wörter. Das Wort ist eine enorme Begrenzung und Einschränkung. Dichter, die multidimensional denken, legen in ein Wort mehrere Bedeutungen hinein. Doch was konkret verstehen dann die Lesenden?

Ruhe stört mich.

Al Imfeld

Früher war ich oft zwischen Zürich und Genf in der Bahn unterwegs. Die Geräuschkulisse hilft mir beim Schreiben. Ruhe stört mich. Menschen, die debattieren und diskutieren, regen mich an.

Ich arbeite nie an einem Werk allein. Ausser es ist so umfangreich wie meine afrikanische Gedichtanthologie. Als die Anthologie mit mehr als 550 Gedichten veröffentlicht war, dachte ich: ‹Jetzt kann ich von mir aus sterben.› Aber ich bin noch am Leben. Also mache ich weiter.

Derzeit arbeite ich in einem Sachbuch das Modell einer afrikanischen Stadt heraus. Einer Stadt, die ihren Bewohnern Nahrung und Lebensqualität bietet. Das Elend ist heute so gross in Afrika, dass ich das anstossen muss. Ich bin unter anderem Tropenlandwirt. An diesem Projekt der afrikanischen Stadt arbeite ich seit den 90er-Jahren. Mein Netzwerk dafür umfasste 33 Fakultäten, Forschungsbereiche von der Geologie bis zur Paläontologie, und reichte von Brasilien bis Japan.

Es ist wahnsinnig wichtig, dass sich Menschen vernetzen und austauschen. Wir erreichen nicht viel, wenn jeder in seinem Gehäuse bleibt. Deshalb öffne ich meine Wohnung an der Konradstrasse 23 in Zürich jeden Mittwoch und Samstag für Diskussionen. Alle sind willkommen. Ich nenne es ‹offenes Haus› oder ‹Businesslunch›. Früher wurde ich ausgelacht, weil ich mehrere Abschlüsse habe: ‹Ja, bist du jetzt Religionswissenschaftler, Entwicklungssoziologe, Tropenlandwirt oder Journalist?› Bist du Journalist, glaubt dir sowieso niemand etwas. Mit Neugierde über den Tellerrand des eigenen Fachbereichs schauen, das belebt die Menschen. Das ist der Sinn des ‹offenen Hauses›.

Ausserdem bereite ich einen weiteren Gedichtband vor. Er wird zu meinem Geburtstag Anfang des kommenden Jahres erscheinen. Ich arbeite zusammen mit zwei Fotografen und einem Grafiker daran. Es sind Mandalagedichte. Die Idee geht zurück auf meine Zeit in Japan. An der Tokyo International University hielt ich glücklicherweise zweimal in meinem Leben Vorlesungen über Religionswissenschaft.

Seid ihr selbst der Gott?

Al Imfeld

Ich bin Schweizer. Auch juristisch gesehen. Aber ich habe genauso etwas von den afrikanischen Ländern in mir und vom japanischen Buddhismus. Ich kann niemals Nationalist sein. Ich reise zu meinen Freunden in Vietnam und fühle mich dort ebenso zu Hause. Heimat ist für mich eine Form von Neugierde. Aber Neugierde – da kommt sofort die andere Seite dazu – ist natürlich etwas, was dich sehr einsam machen kann. Du erfährst so viel, dass du es fast nicht erträgst.

Wenn ich religionswissenschaftlich-theologisch forsche, bin ich mit Wissen mitunter anderen voraus. Ich provoziere Leute, um sie mit Fragen aus dem Schlaf zu wecken: ‹Wie könnt ihr an einen Gott glauben, der die Bösen machen lässt und die Guten, Einfachen verrecken lässt? Will das dieser Gott? Ist das der Sinn der Schöpfung gewesen?› Da kommst du rasch an Tabus heran: ‹Seid ihr selbst der Gott?› Ich frage immer weiter. Das ist schliesslich der Sinn eines wachen Geistes.

Ich könnte frech sagen: ‹Ich habe meine Ziele erreicht.› Ich bin eigentlich ein glücklicher Mensch. Ich nehme noch, was kommt.»

Als Autor und Tropenlandwirt recherchiert Al Imfeld für sein Projekt im Archiv.
Als Autor und Tropenlandwirt recherchiert Al Imfeld für sein Projekt im Archiv.

Dieser Artikel wurde von mir auf dem Online-Portal Der Arbeitsmarkt veröffentlicht:
https://derarbeitsmarkt.ch/de/portraet/mein-tag-als-autor

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