Gottfried Keller Stiftung – Die Schatzkiste des Bundes

Die Gottfried Keller Stiftung lud zur Vernissage ins Landesmuseum Zürich

Diabild bei Vernissage Glanzlichter der Gottfried Keller Stiftung


Glanzlichter der Gottfried Keller Stiftung

Das Landesmuseum Zürich (bis 22.04.2019) und das Museo d’arte della Svizzera italiana in Lugano (bis 28.07.2019) zeigen Werke der Gottfried Keller Stiftung.

Die Geschichte

Verheiratete Frau brennt mit ihrem Liebhaber durch.

Heutzutage reicht diese Meldung nicht einmal für die Klatschspalten der Yellow Press. Anno 1890 ein gesellschaftlicher Skandal. Zumal es sich um die Tochter vom Industriemagnaten Alfred Escher – die treibende Kraft hinter dem Bau des Gotthardtunnels – handelt. Lydia Welti-Escher ist die reichste Frau der Schweiz. Verheiratet mit Friedrich Emil Welti dem Sohn des mächtigsten Bundesrates.

Lydia Welti-Escher gemalt von Karl Stauffer

Die Affäre droht zum Skandal zu werden. Lydia Welti-Escher will die Scheidung. Womöglich will sie ihren Geliebten, den Porträtmaler Karl Stauffer heiraten – das ist Spekulation. Damals Grund genug an ihrer geistigen Verfassung zu zweifeln. Lydia Welti-Escher wird über Monate in der Psychiatrie in Rom „entsorgt“. Karl Stauffer wird eingekerkert. Letztlich wählen beide den Freitod.


Die Stiftung

Zuvor bringt Lydia Welti-Escher ihr Vermögen in eine Stiftung ein. Ihr Name ist aus Sicht der damaligen Gesellschaft negativ belastet. Für die Stiftung wählt sie den Namen Gottfried Kellers. Er ist ein Freund, verkehrte bei ihrer Familie und verstarb 1890.

Die Gottfried Keller Stiftung unterliegt seit Anbeginn der Aufsicht des Bundesrates. Eine vom Bundesrat bestellte fünfköpfige Kommission bestimmt über den Ertrag aus dem Stiftungsvermögen und die Art der Ankäufe. Sie wird alle vier Jahre gewählt.

Aktuell setzt sich die Eidgenössische Kommission der Gottfried Keller Stiftung zusammen aus:

Franz Zelger, (Präsident)

Verena Villiger Steinauer, Directrice, Musée d’art et d’histoire, Fribourg (Mitglied)

Hortensia von Roda, Geschäftsführerin und Kuratorin der Sturzenegger-Stiftung im Museum zu Allerheiligen (Mitglied)

Sylvie Wuhrmann, Directrice du musée Fondation de l’Hermitage à Lausanne (Mitglied)

Pascal Griener, Professeur ordinaire, Université de Neuchâtel (Mitglied)

Stiftungsurkunde der Gottfried Keller-Stiftung, 1890

Die Chance

Das ist der Stoff, von dem Romanautoren träumen, denke ich. Und erwäge, darüber zu schreiben. Keine Option bemerke ich früh. Würde man mein Werk doch mit dem Roman Ein Bild für Lydia von Paradeschriftsteller Lukas Hartmann (verheiratet mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga) vergleichen – der diesen spannenden Stoff bereits bravourös verwertet hat.

Cover des Buches von Lukas Hartmann - Ein Bild von Lydia

19 Seiten von „Ein Bild für Lydia“ gratis als Online-Leseprobe beim Diogenes Verlag.

Das Jubiläum

2019 jähren sich die Geburtstage von Alfred Escher, dem Vater der Stifterin sowie von Gottfried Keller, dem Namensgeber der Stiftung, zum 200. Mal.
Die letzte grosse Ausstellung im Kunsthaus Zürich datiert von 1965. Deshalb soll die Sammlung und das Wirken der Gottfried Keller Stiftung nun einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Das Buch zur Ausstellung ist in der Boutique des Landesmuseums erhältlich.

Ein Essay des Kommissionspräsidenten Franz Zelger erzählt die Geschichte der Gottfried Keller-Stiftung und ihrer Ankäufe von der Gründung im Jahr 1890 bis heute.

Meisterwerke der Gottfried Keller- Stiftung

Mit Beiträgen von Heidi Amrein, Francesca Benini, Erika Hebeisen, Christian Hörack, Mylène Ruoss, Christian Weiss und Franz Zelger sowie Vorworten von Alain Berset, Tobia Bezzola und Andreas Spillmann.

216 Seiten, 106 farbige Abbildungen

ISBN 978-3-85881-629-0 (deutsche Ausgabe)

ISBN 978-3-85881-827-0 (édition française)

ISBN 978-8-77138-248 (edizione italiano)

Herausgegeben vom Schweizerischen Nationalmuseum, dem Museo d’arte della Svizzera italiana, Lugano, sowie dem Eidgenössischen Departement des Innern, Bundesamt für Kultur beim Verlag Scheidegger & Spiess.


Die Vernissage

Mit Freude und Begeisterung nehme ich am Abend des 13.02.2019 die Einladung zur Vernissage an. Als Privatperson. Sie findet im Landesmuseum Zürich am Hauptbahnhof am Vorabend der Ausstellungseröffnung statt. Das Landesmuseum Zürich fungiert seit 2011 als Teil des Schweizerischen Nationalmuseums.

Geladen ist ein kleiner Kreis von Gönnern, Sponsoren und herausragenden Persönlichkeiten. Erst im Nachhinein drängt es mich über den Event, die Gottfried Keller Stiftung und die tragische Liebesgeschichte ohne Happy End auf Johntext zu berichten.

Näheres zur Ausstellung auf der Webseite des Nationalmuseums.

Vernissage-Glanzlichter-der-Gottfried-Keller-Stiftung
Vernissage Glanzlichter der Gottfried Keller Stiftung am 13.02.2019 – Foto: Hans-Jürgen John

Im offiziellen Teil der Vernissage schildern die Vortragenden Wissenswertes zur Stiftung, deren Geschichte und die finanzielle Situation.

  • Andreas Spillmann, Direktor Schweizerisches Nationalmuseum
  • Franz Zelger, Präsident Eidgenössische Kommission der Gottfried Keller Stiftung und emeritierter Ordinarius Universität Zürich
  • Isabelle Chassot, Direktorin Bundesamt für Kultur
  • Christian Weiss, Ausstellungskurator

Ein Bild von Lydia Welti-Escher und Gottfried Keller machen sich die Besuchenden eingangs der Ausstellung – beide von Karl Stauffer gemalt.

Es ist ergreifend wie aus einer persönlichen Tragödie etwas so Wunderbares wie der Schutz und Erhalt Schweizer Kunst im grossen Stil resultiert. Die Namen beider und ihr Schicksal bleiben so an der Oberfläche Schweizer Kunstgeschichtsschreibung präsent. Die Kraft ihrer Liebe schuf letztlich in der Stiftung ein Gedankenkind.

Lydia Welti-Escher auf Wikipedia.

Weitere Einzelheiten der Ausstellung möchte ich nicht preisgeben. Wo bleibt denn da die Spannung. Das ist ja so, als würde eine Freundin einem den Inhalt eines Buches erzählen – und dann hätte man keine Lust mehr es selbst zu lesen …


Die Investition

Immer wieder lese ich von Geboten in Millionenhöhe auf Kunstauktionen. Kunst ist eine sehr beliebte Sparte für Investitionen. Das Ziel ist Return of Investment. Das derzeit teuerste Gemälde – laut Spiegel Online nicht mehr in allerbestem Zustand wird 2017 bei Christie’s versteigert: Leonardo da Vincis Salvator Mundi wechselt für umgerechnet 381,6 Millionen Euro den Besitzer.

Einer Veräusserung zum besten Preis ist der Bund als Inhaber der Werke der Gottfried Keller Stiftung nicht verpflichtet – er soll Schweizer Kunst bewahren.
Das Ziel der Gottfried Keller Stiftung ist klar definiert:

Lydia Welti-Escher vermachte der Eidgenossenschaft 1890 einen grossen Teil ihres Vermögens mit dem Auftrag, aus den Erträgen bedeutende Werke der bildenden Kunst zugunsten der Schweizer Museen anzukaufen.
Quelle: Homepage der Gottfried Keller-Stiftung

Nur konnte sie damals nicht ahnen, dass mehrere Weltwirtschaftskrisen und die Unwägbarkeiten und Risiken jeder Anlage das Vermögen angreifen und die Erträge schmelzen lassen.

Manche reden von Misswirtschaft der Gottfried Keller Stiftung. Weil das Kapital angegriffen und nicht nur von den Erträgen Kunst erworben wurde.

Andererseits steigen bekanntermassen die Renditen im Kunstmarkt – in vorliegendem Fall seit 130 Jahren. Es wurde in Werte investiert sowohl finanziell als kunsthistorisch.
Es handelt sich um Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Goldschmiedeobjekte –> Auch durch Rückkäufe aus dem Ausland eröffnen die Werke den Zugang zu 1000 Jahren Schweizer Kunstschaffens.

Die 6.500 Werke der Sammlung werden 2008 mit 500 Millionen bis 1.5 Mrd geschätzt.
Quelle: Antwort des Bundesrates vom Dezember 2008 auf eine Anfrage vom damaligen Nationalrat und heutigem Zürcher Stadtrat Filipo Leutenegger zur finanziellen Situation der Gottfried Keller Stiftung. 

Hat der Bundesrat 2008 noch von 8.500 Werken geschrieben – sind es in den meisten Publikationen heute 6.500. Ist das Schwund? Nein. Die Sammlung hat gegen 6.500 Inventarnummern. Teilweise stecken aber sehr viele Unternummern hinter einer Inventarnummer (z.B. bei Fotografien). Beide Zahlen sind richtig – es kommt darauf an, wie einzelnes Werk definiert ist.

Wieviel die Sammlung wohl heute wert ist? Kunstwerke, die dem Markt entzogen sind dürften die Nachfrage und damit den Preis in exorbitante Höhen schnellen lassen.

So manche Sammelnden die sich auf eine Kunstrichtung oder einzelne Künstler spezialisiert haben bezahlen was die Portokasse hergibt, wenn das i-Tüpfelchen ihrer Sammlung noch fehlt.

Wie es mit der Gottfried Keller Stiftung weitergeht ist offen. Es ist wünschenswert, dass Schweizer Kunst weiterhin durch Rückkäufe aus dem Ausland geschützt und der Nachwelt erhalten bliebt. Dazu sind finanzielle Anstrengungen nötig.


Der Kunstgenuss

In über 100 Museen als Dauerleihgabe ist die Sammlung öffentlich einsehbar. Um Interessierten die Exponate in Bauten der Verwaltung, in Depots und Botschaften – die nicht öffentlich zugängig sind – zu zeigen wurde begonnen, diese online zu stellen.

Seit Ende 2018 sind Werke der Sammlung der Gottfried Keller Stiftung auf der online-Plattform «E-Pics» der ETH Zürich aufgeschaltet.

Vielen herzlichen Dank an das Schweizerische Nationalmuseum
für die Erlaubnis zur Verwendung der Fotos.

Zum Schweizerischen Nationalmuseums gehören: das Landesmuseum Zürich, das Château de Prangins und das Forum Schweizer Geschichte Schwyz sowie das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis.

Diese Museen zeigen Schweizer Geschichte bis heute und erschliessen die schweizerischen Identitäten und die Vielfalt von Geschichte und Kultur.

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Linkedin is the place to be – als Berufsnetzwerk inzwischen unerlässlich – sogar Schweizer Bundesämter hegen und pflegen dort eine Hinweisseite – hier der Artikel über den Aufbau eines persönlichen LinkedIn Accounts:

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Abbilder der Realität

FOTOS UND TEXT: Hans-Jürgen John

Der Schweizer Filmregisseur Jan Gassmann – Abbilder der Realität

Der Schweizer Filmregisseur Jan Gassmann vor dem Bistro des Kinos «RiffRaff»

Der Schweizer Filmregisseur Jan Gassmann vor dem Bistro des Kinos «RiffRaff».

Der Schweizer Filmregisseur Jan Gassmann erhielt für seine Filme etliche Auszeichnungen. Seine Filme kreiert er nicht nur aus seinem Kopf. Er muss viel erleben, um es dann filmisch umzusetzen.

Frühling ist es und warm. Der Regisseur von «Heimatland» betritt in Jeans und T-Shirt die Kinobar im RiffRaff in Zürich. Mit dem Skateboard unterm Arm bestellt er einen Espresso. Im Herbst kommt «Europe, she loves» in die Kinos. Premiere war auf der 66. Berlinale.

Ein Interview mit ihm zu bekommen, ist schwer. Nach drei Monaten hat es geklappt. Wir sind allein. Die getönte Scheibe im Rücken von Jan Gassmann spiegelt Fussgänger und ab und zu ein Fahrzeug.

«Im RiffRaff arbeitete ich früher. Hier sind alle unsere Filme gelaufen.» Er gehe gerne ins Kino. Aus Spass und Neugierde und über das berufliche Interesse hinaus. «Wann immer ich es mir leisten kann», fügt er hinzu.

Gassmann dreht sich eine. «Natural American Spirit.» Wozu er Filme drehe, frage ich und weiss längst, dass er eine soziale Ader hat. Sonst würde er in seinen Filmen nicht Autisten, Homosexuelle oder Krebskranke in den Mittelpunkt stellen.

Es sei einfach «der Wunsch, Geschichten zu erzählen». Inhalte so zu transportieren, dass Zuschauer sie aufnehmen könnten. «Wenn alles gut läuft, bin ich als Künstler mehr verloren, als wenns schlecht läuft.» Gerade der Misserfolg und Neues spornten ihn an. Seit 14 Jahren mache er längere Filme. «Ich habe den Anspruch, besser zu werden. Weiterzukommen. Mich selber herauszufordern, ist das Ziel. Projekte zu machen, die ich noch nicht versucht habe.»

«Zuschauer herausfordern und zum Denken anregen»

Filme mit Vorbildcharakter? Er lacht. Nein, das sei sicher nicht seine Aufgabe. Die Realität bilde er im Film ab. «In meinen Filmen gibt es Sexualität, Drogen und alles Mögliche, was uns das Leben so anbietet.» Gleich schränkt er ein: «Im Film geht es nicht um die perfekte Abbildung. Er bringt die Phantasie im besten Fall ins Rollen.»

Ein anderer Aspekt ist ihm wichtig: «Unserer Welt fehlt es an Helden.» Und so kommen seine Filme ohne aus. «Eher mit Antihelden.»
Früher, ja früher wollte er mit seinen Filmen etwas erreichen, auch politisch. Heute sieht er das weiter: «Film muss keine Lösung oder Handlungsanweisung sein. Meine Filme sollen den Zuschauer herausfordern und zum Denken anregen.»

Nach und nach sind die Tische um uns herum alle besetzt. Liegt es an dem bekannten Filmregisseur oder an der freitäglichen Aprilsonne? 2008 erhielt er allein für «Chrigu» den Berner und den Zürcher Filmpreis und 2009 den Preis der Schweizer Filmkritik und den Prix Walo. Weitere Preise für weitere Filme folgten. «Chrigu» liege ihm nach all den Jahren immer noch sehr am Herzen.

Genügsam

Was verbindet den privaten Jan Gassmann mit dem Schweizer Filmregisseur Jan Gassmann? Er lebe sehr intensiv. «Exzessiv im Leben und exzessiv in der Arbeit.» Liebe, Party, Drogen – das alles gehöre irgendwie zum Leben dazu. Das ganze Leben bestehe sicher nicht daraus. «Im Exzess fällt einem nichts zu.» Er inspiriere allenfalls.

Der Schweizer Filmregisseur Jan Gassmann liebt Zürich. Er vermisst hier nur das Meer.
Jan Gassmann liebt Zürich. Er vermisst hier nur das Meer.

Für Gassmann gibt es unterschiedliche Regisseure. «Die einen kreieren alles aus ihrem Kopf.» Er gehöre sicher zu denen, die vieles erleben müssen und es dann filmisch umsetzen.

Wo wir beim Vergleich mit anderen sind: Es gebe Leute, die seien schon aufgrund der Herkunft privilegiert. «Ich habe die Welt eher von der Mitte und von unten gesehen. So hat alles bei mir eher mit Wille und Arbeit zu tun und weniger mit Connections oder so.»

Er habe sich das Leben bereits sehr früh selber finanzieren können. «Als Cutter oder über Nebenjobs.» Er sieht zu den getönten Scheiben des Bistros hinüber, zu dem ein Kino gehört.

«Ich fühle mich sehr frei in dem, was ich mache. Mein Leben ist recht skalierbar. Ich kann mal mehr Geld haben und mal weniger. Ich habe nicht besonders viele Wünsche.» Er brauche wenig zum Leben. «Ich kaufe ab und zu mal eine Schallplatte. Thatʼs it.»

Unabhängig

Hager ist er, fast dünn. Wichtig sei, was man zu sich nehme. «En guete Zmorge und dann einmal eine Mahlzeit am Tag» reiche ihm. Als Student lag ihm Pasta, jetzt seien es eher Kartoffeln in jeglicher Zubereitung, mal Fisch und Salat.

Ist in seinem Leben Platz für Kinder und damit Familie? Ja, bestimmt. Wie sich das halt ergebe.
«Ich habe keinen Lebensplan, der mir sagt: Jetzt bist du 32. Jetzt musst du dich so verhalten.» Es gebe für ihn nicht ein Ziel oder eine Zufriedenheit. Das «Wichtigste auf der Welt» existiere für ihn nicht.

«Das Zwischenmenschliche zählt sehr viel für mich.» Ungekämmt und mit Dreitagebart sitzt er mir vor dem Bistro gegenüber. Ist sein Äusseres der Filter, mit dem er sich Menschen auf Abstand hält, die Kontakte nach dem Aussehen knüpfen?

Er legt beide Hände auf der Tischkante ab. Richtig sei, intensiv zu leben. Den Moment mitzunehmen. «Das Licht macht den Schatten und umgekehrt.» Wenn etwas wichtig sei, dann verschiedene Momente. Und davon wieder die problematischen. Da ist sie wieder. Seine Art, sich zu motivieren. Über alles, was nicht rund ist und nicht rund läuft.

Er reist gerne. Der 32-Jährige war in den USA. In Thailand, dem Senegal und Mexiko und auch ein Jahr in Ecuador, teilweise mit Stipendium. «Mit dem Auftrag, für einen Film zu reisen, ist nochmals sehr viel interessanter, als nur zu relaxen. Du hast sofort Kontakt zu den Leuten.»

In Indien hat er auch gedreht. Und er sei gerne immer wieder in Zürich. «Es gibt hier ein breites Angebot. Und viel Kontrast. Das mag ich sehr gerne an dieser Stadt.»

In Geld sieht er vor allem ein Mittel. «Geld ist okay. Ich beklage mich nicht. Ich kann von den Filmen leben. Das Einzige, was ich in Zürich vermisse, ist das Meer. Sollte ich einmal viel, viel Geld haben, werde ich mir irgendwo in einem Dörfchen eine kleine Wohnung mieten.»

Unabhängig zu sein, sei ein extremes Privileg im Vergleich zu anderen. «Es ist aber nicht geschenkt. Filme machen ist nicht wie eine Karriere, in der alles immer grösser wird. Oft gibt es einen Bruch.»

Vier Jahre an einem Projekt zu arbeiten, und dann komme es nicht zustande – das sei möglich.
Was macht er dagegen? Zurzeit arbeite er an zwei bis drei Projekten gleichzeitig. Komme eines nicht zustande, so greife er auf ein anderes zurück. Und werden alle realisiert? Er lacht. «Ich habe dann auf einmal sehr, sehr viel zu tun.»

«Europe, she loves» im Herbst in den Kinos

Tastet er sich nach mehreren Filmen mit sozialem Hintergrund an einen Kassenknüller heran? «Europe, she loves» spielt in verschiedenen europäischen Ländern. Und es dreht sich um Beziehungen.

Jan Gassmann bleibt bescheiden und skeptisch. Der Film ist eher melancholisch. «Es gibt keine Formel.» Viele machten den Film, der die Massen bediene. Und scheitern. Auch die Amerikaner hätten die todsichere Formel nicht. Viele Schweizer Filme schafften es nicht, das Geld einzuspielen, das sie gekostet hätten.

Fazit? «Ich erzähle im Film erst einmal das, was mich interessiert.» Erfolg dürfe nicht die primäre Motivation sein. «Steckt die falsche Motivation hinter einem Ziel, kommt der Erfolg nicht.»

Sein filmisches Erbe kümmere ihn wenig. Sicher sei es ein Nebeneffekt, dass seine Filme Momentaufnahmen ihrer Zeit seien. «Und im besten Fall langsam altern.» Er wiederholt: «Viel wichtiger ist mir, was ich im zwischenmenschlichen Bereich, in der Familie, den Beziehungen und mit Freunden hinterlassen kann.»

Die Ideen für seine Filme kommen ihm spontan. «Europe, she loves» fiel ihm unter der Dusche ein. «Ein Film mit viel Risiko.» Sie fuhren im Team 20 000 Kilometer durch Europa. Niemand wusste, ob der VW-Bus das durchhalte. Ob sie genügend Pärchen für die Dokumentation finden würden.

Ja, den Führerschein habe er. Und der VW-Bus sei der Firmenwagen für alle. Mit Julia Tal und Lisa Blatter hat er 2012 die Produktionsfirma 2:1 Film gegründet.
Spricht, nimmt sein Skateboard und surft die Strasse hinunter.

Dieser Artikel wurde am 15.06.2016 auf https://derarbeitsmarkt.ch veröffentlicht.

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https://johntext.info/worte-bewegen-die-welt/

Händler mit Passion

TEXT: Hans-Jürgen John
Video: Nana do Carmo, Hans-Jürgen John

Händler mit Passion

 
Kurt Müller, 65, startete als Maschinenmechaniker. Beruflich glücklich ist er als selbständiger Antiquitätenhändler mit eigenem Verkaufsladen in Zürich. Schon als kleiner Bub entdeckte er in sich die Leidenschaft für Möbel mit Geschichte.

«Günstig einkaufen und günstig verkaufen» ist das Motto des gebürtigen Zürcher Oberländers Kurt Müller. Meist ersteht der Antiquitätenhändler ganze Wohnungseinrichtungen aus Nachlässen. «Das Gute» stellt er in seinem Laden in Zürich Wiedikon aus. Gefragt sind aktuell Möbel aus den Jahren 1850 bis 1920. Das meiste andere wandert in sein Lager. Und bleibt dort, bis es wieder in Mode kommt. Mit seinen Geschichten über Sammlerobjekte und andere Schätze, die er entdeckt hat, könnte der 65-Jährige ein Buch füllen.

Aufgeregt erzählt er etwa von der Barbie-Puppe in Originalverpackung, die aus einer Wohnungsauflösung stammt und die er für über 2800 Franken verkauft hat. Die Geschichte vom berühmten Mann aus Zürich, der verstirbt und seiner italienischen Haushälterin alles vermacht, werde er nie vergessen. Über Monate hinweg geht er immer wieder dort vorbei und kauft der Erbin etliche Stücke ab, «wenn ich wieder etwas Geld im Sack hatte».

 
Dieser Artikel wurde am 20.04.2016 auf derarbeitsmarkt.ch veröffentlicht.