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I : Herr Assange…
A: Julian bitte….
I :Julian, wie geht es weiter bei Dir?
A: Das wird sich zeigen. Wir haben immer damit gerechnet, dass die Begleitumstände unserer Arbeit härter würden und haben uns darauf seit langem vorbereitet.
I : Ihr wolltet unter anderem zeigen, dass die amerikanische Regierung dem Volk verschiedene Wahrheiten vorenthält. Bist Du zufrieden?
A : Das Echo in den Medien ist gross.
I : Du wolltest die US-Regierung bei der Moral treffen. Jetzt gehen die Vorwürfe und Anschuldigungen aus dem internationalen Haftbefehl in die gleiche Richtung.
A : Wir haben viel erreicht.
I: Wie erklärst Du Dir, dass die sogenannten Whistle Blower (Geheimnisverräter, Anm. des Autors) Dir vertrauen und um die traditionellen Printmedien einen Bogen machen?
A : Die grossen Tageszeitungen haben eine wichtige Aufgabe. Sie zeigen durch die Veröffentlichungen, dass die Meinungsfreiheit über anderen Erwägungen steht: Wie wurden die Daten erlangt? Ist das Material geheim und darf nicht veröffentlicht werden?
I : Es fällt aber schon auf, dass es kaum Indiskretionen in dieser Hinsicht gab, bevor Wikileaks auftrat.
A : Die Redakteure einer Tageszeitung können nicht immer wie sie wollen. Es kommt auch mit auf die Herausgeber an.
I : …die meistens konform sind, die einen modus vivendi (verträgliches Miteinander, Anm. des Autors) mit den Obrigkeiten pflegen?
A : Dazu will ich nichts weiter sagen.
I : Als Wikileaks auftrat kamen die Printmedien in Zugzwang. Sie mussten das angebotene Material veröffentlichen, um zu zeigen, dass sie auch die Meinungsfreiheit vertreten?
A : Das sieht zumindest so aus…und um zu zeigen, dass sie auch mit im Geschäft sind. Der Kampf um die Auflagen ist für jede Zeitung überlebenswichtig.
I : Die Veröffentlichungen zielen grösstenteils in eine Richtung: Die US-Regierung. Wieso jetzt? Der aussenpolitische Schaden ist da. Die einen meinen er sei gering, die anderen sprechen von Vertrauensverlust.
A : Sie müssen sehen… wenn eine Regierung wechselt, wird nicht automatisch zugleich auch der gesamte Behördenapparat ausgetauscht.
I : Die Regierung Obama regiert teilweise noch mit den Gefolgsleuten von Bush?
A : Grob formuliert: Ja. Wir haben vor den Veröffentlichungen intern darüber diskutiert. Wir erweisen der Regierung Obama keinen guten Dienst. Obama hat unsere ganze Sympathie. Das Recht der Bevölkerung zu wissen, was vor sich geht haben wir jedoch höher eingeschätzt.
I : Euch wurde vorgeworfen, ihr hättet die Geheimdokumente nach und nach veröffentlichen sollen. Damit hättet ihr eine grössere Wirkung erzielt….
A : Das ist sicher richtig. Allerdings mussten wir uns beeilen. Niemand wusste, wann man versuchen würde uns zu stoppen. Wir wussten nur, dass dieser Zeitpunkt sicher kommen würde.
I : Seit Deiner Verhaftung haben sich viele Hacker aus der Deckung gewagt. Fast möchte man meinen, die Regierungen werden froh sein, eine Handhabe zu haben, um etliche Freizeitrevolutionäre lokalisieren zu können.
A : Und die entsprechenden Gesetze zu verschärfen. Sieh mal, als es den 11.September gab….
I : …war es ein Leichtes, die Antiterrorgesetze zu verschärfen.
A : Und was sonst nur im Kriegsrecht möglich ist….
I : …Verdächtige ohne Anklage und Gerichtsverfahren festzusetzen…
A : …wurde plötzlich möglich.
I : Ja, wird Wikileaks vielleicht instrumentalisiert? Hat man euch mal machen lassen, um danach Verbündete in der Staatengemeinschaft weltweit zu haben, die das Internet reglementieren und kontrollieren?
A : Das halte ich für eine gewagte Formulierung.
I : Es ist durchaus möglich?
A : Theoretisch ja.
I : Ich stelle mir einfach mal vor, ich würde hingehen und eine Internetplattform gründen, die Geheiminformationen sammelt. Hier in Deutschland wäre das zumindest als Anstiftung zu einer Straftat auslegbar und damit ein kriminelles Vergehen.
A : Ich kenne die Rechtsprechung in Deutschland nicht ausreichend. Wenn Du es sagst..
I : Ich bin kein Jurist. Ich stelle mir einfach mal vor, was wäre wenn…
Habt ihr euch denn nie gewundert, wieso man euch so lange gewähren liess?
A : Es gab Versuche, uns früher zu stoppen. Wir haben sogar mit einer Entführung oder einem Anschlag oder Attentat auf mich gerechnet.
I : Für eine Supermacht wie den USA theoretisch kein Problem. Ich sage nicht, dass sie es tun würden, aber wenn man die sonstige Vorgehensweisen gegen äussere Feinde verfolgt, so nimmt es Wunder, dass ein Julian Assange von Flughafen zu Flughafen jettete und spazierte – offiziell auf der Flucht und ein Gejagter – , Flughäfen, die allesamt videoüberwacht sind.
A : Sie meinen Wikileaks ist nur der Präzedenzfall, um das Internet als Bedrohung für die innere und äussere Sicherheit der Staatengemeinschaft zu kennzeichnen? Und um in diesem Fahrwasser so etwas wie eine Internetpolizei zu gründen?
Unsere Existenz und unser Wirken zeigt ja eben, dass es schwer ist, das Internet zu kontrollieren.
I : Bis jetzt zumindest. Was wenn doch?
A : Das wäre ein grosser Fehler. Die Menschen brauchen eine Spielwiese, um sich intellektuell auszutoben. In der Wirklichkeit geht das schon lange nicht mehr. Und gibt es die Ventilfunktion des Internets nicht mehr, werden viele ihre Unzufriedenheit auf andere Weise zum Ausdruck bringen.
I : Du meinst, die guten, alten Revolutionen à la 1789 n. Chr. werden wieder gesellschaftsfähig?
A : Schau Dich um. Wenn Du Erdbeermilch im Supermarkt einkaufst heisst das nicht, dass da auch nur eine Erdbeere enthalten ist. Die Menschen kümmert es nicht. Es schmeckt nach Erdbeere, das reicht. Wenn Du abends einen Actionfilm mit Jacki Chan siehst, wie fühlst Du Dich?
I : Gut.
A : Sehr gut. Du hast ab und zu die Hand zur Chipstüte bewegt und doch fühlst Du Dich, als hättest Du 49 gegnerische Kämpfer eigenhändig abgewehrt.
I : Ich kann Dir nicht folgen.
A : Ersatzbefriedigung ist das Zauberwort.
I : Surrogate?
A : Richtig. Die Menschen sind so weit, dass sie sich mit einer blossen Kopie von allem zufrieden geben. Sie brauchen die Meinungsfreiheit nicht mehr. Sie geben sich mit dm Anschein davon zufrieden. Es geht nicht mehr um den Originalgeschmack, es geht noch nicht einmal mehr um die gesunde Originalerdbeere. Wir geben uns mit irgendwelchen Geschmacksverstärkern zufrieden. Im richtigen Leben wäre Action à la Jackie Chan zu gefährlich. Uns genügt schon der Adrenalinstoss daheim auf dem Sofa, wenn wir uns einen Film anschauen. Obwohl wir wissen, dass alle Szenen gestellt sind. Diese Welt will betrogen werden.
I : Worauf willst Du hinaus? Betrügt Wikileaks seine Fans?
A : Nein. Wir liefern nur, was alle wollen. Wer möchte nicht gerne ein paar Staatsgeheimnisse kennen? Viel schlimmer. Wir haben viel Unterstützung. Dabei füllen wir nur eine Funktion aus. Wir tun das, was viele gerne täten, aus existentiellen Erwägungen aber nie in Wirklichkeit ausprobieren würden. Und so geben die Menschen da draussen sich schon damit zufrieden, dass es uns gibt. Sie selbst brauchen ja nicht ihren Kopf und ihren guten Namen riskieren….
I : Wikileaks hat also eine ähnliche Funktion wie Erdbeermilch und Actionfilme à la Jackie Chan: Es soll dem Leser oder Konsumenten suggerieren, er wäre schon Teil einer grossen Sache, obwohl er lediglich zuhause am Computer sitzt und liest?
A : So ähnlich.
I : Danke Dir Julian für das fiktive Interview.
© 2010 Hans-Jürgen John