Eine Illustrierte vom Ringier-Verlag, Zofingen 1939
Weniger Zeitungsleser
Die Zahlen sind rückläufig. Die Leserzahlen ebenso wie die Gewinne. Sinken die Verkaufszahlen, gehen auch die Einnahmen durch Werbekunden zurück. Fieberhaft reagiert die Printpresse und versucht Nachrichten übers Internet zu verkaufen oder sich Leser durch kostenlose Inhalte zu sichern.
Hat der Leser weniger Zeit, ist er sparsamer oder fühlt er sich im Internet wohler?
Wieso soll im Internet funktionieren was bei den Zeitungen nicht mehr funktioniert – der Verkauf von Nachrichten gegen Cash? Jimmy Maymann, CEO der «Huffington Post», einer Online-Zeitung mit monatlich 110 Millionen Besuchern, gibt das in der «Schweiz am Sonntag» vom 12.10.2014 zu bedenken.
Matthias Ackeret, Chefredakteur von «persönlich», zitiert ebenda die Chefs der grössten Zeitungsverlage der Schweiz und Deutschlands, den Chef des Axel Springer Verlages und den CEO des Ringier-Verlages. Beide sehen den Trend weg vom Papier.
Weniger Zeitungstitel und trotzdem weniger Leser
Schaut man sich die Statistiken an, die jeweils im Einzelfall hinterfragt werden müssen – durch Zusammenlegung mehrerer vorher eigenständiger Zeitungen zu einer wie im Fall des «St. Galler Tagblatt», welches die Blätter des «Liechtensteiner Vaterlands», der «Rheintalischen Volkszeitung» und des «Werdenberger & Obertoggenburgers» unter ihre Fittiche nahm, werden die Zahlen verzerrt – so lässt sich insgesamt tatsächlich ein Abwärtstrend feststellen – bei der Bezahlzeitung. Für den Leser kostenlose Blätter wie «20 Minuten» boomen.
Abonnements haben den Beigeschmack der Verpflichtung
Ich erinnere mich noch an das Zeitungsabonnement, das ich vor Jahren unterschrieb, nur um an die Prämie zu kommen, eine Akkubohrmaschine. Inzwischen weiss ich, dass solche Art von Versuchen die Leser zu binden falsch ist, weil nicht nachhaltig. Ich versuchte bereits nach kurzer Zeit das Abonnement loszuwerden und schwor mir nie wieder eine derartige Verpflichtung einzugehen. Ein ungutes Gefühl blieb zurück, das ich seitdem durchaus mit dem Printprodukt von damals in Verbindung bringe. Die Absicht der Zeitungsverleger ist mit der Abonnentenwerbung sicher eine andere gewesen.
Wann fühlt sich der Kunde mit seiner Zeitung gut?
Es stellt sich die Frage wie ein Produkt nachhaltig attraktiv gestaltet werden kann. Ein alter Trick besteht darin, ein Produkt mit einem anderen zu verbinden und ihm so einen tatsächlichen oder scheinbaren Mehrwert beizugeben, der den Kunden zum Kauf animiert – ohne dass er eine Verpflichtung unterschreiben muss wie beim Abonnement und sich wohl fühlt.
Der Unternehmer, der nach dem Autokauf das Businessnotebook als kostenlose Zugabe im Kofferraum entdeckt. Die Hausfrauen, die angelockt durch Lebensmitteltiefpreise zu Aldi marschieren und dort den neuen Fernseher oder die Daunenbettdecke kaufen, obwohl sie das nicht vor hatten. Welcher Mehrwert animiert Menschen, eine Zeitung zu erstehen? Ja, sie sogar zu kaufen, wenn sie keine Zeit oder Lust zum Lesen haben? Und wie lassen sich die Leser dauerhaft binden, ohne das unangenehme Gefühl der Verpflichtung durch ein Abonnement beim Lesen jeder Überschrift ertragen zu müssen?
Ringier wusste schon vor über 70 Jahren wie sich Leser dauerhaft binden lassen.
Bei der Recherche über die Stimmung in der Schweiz am Vorabend des 2. Weltkrieges stieß ich auf «Ringiers Unterhaltungsblätter» von 1939. Die «Illustrierte für Alle». Die Ausgabe vom 19.August 1939 des Ringier-Verlages aus Zofingen liefert gleich auf der ersten Heftinnenseite zwei grundlegende Informationen: Ringier bietet eine Gratis-Verlosung von insgesamt 10.000 Franken an. Neue Auszahlungen der Abonnenten-Versicherung des Ringier- Verlages werden en detail veröffentlicht.
Mit der Veröffentlichung des Namens, des tödlichen Unfallhergangs und der Auszahlungssumme wäre heute der Datenschutz verletzt. Damals nutzte Ringier die Veröffentlichung der Daten, um das Vertrauen der Leser und neue Abonnenten zu gewinnen.
Vom Fuhrwerk gestürzt
Unser Abonnent Herr Josef Bischoff von Oberegg (Appenzell) transportierte mit einem Federbockwagen Bierkisten von Oberegg nach Grub. Beim Kehrmanöver nach der Umladung am Bestimmungsort kippte der Wagen um. Unser Abonnent stürzte vom Wagen und erlitt eine Gehirnverletzung, die kurze Zeit nachher seinen Tod zur Folge hatte. Fr. 5000.–
Ein Dreirad-Auto kippt…
Unser Abonnent Herr Theodor Bindschedler von Wädenswil (Zürich) kippte mit dem von ihm gesteuerten Dreirad-Auto zufolge Anfahrens am Randstein gerade in dem Augenblick um, als ihn ein Lastauto überholen wollte. Unser Abonnent wurde direkt vor das rechte Hinterrad des Lastautos geworfen, überfahren und tödlich verletzt. Fr. 5000.–
Nur eine kleine Fingerverletzung…
Unserem Abonnenten Herr Alex Nani von Zwingen (Baselland) fiel ein Stück Holz auf den rechten Mittelfinger und verursachte eine starke Quetschung des Fingergliedes. Diese Verletzung entwickelte sich zu einer allgemeinen Blutvergiftung, woran unser Abonnent sterben musste. Fr. 3.500
Eine Unfallversicherung wurde im vorliegenden Fall mit einem Abonnement zu einem Produkt verbunden. Die langfristige Bindung des Lesers war garantiert. Die Abonnenten von heute werden durch Prämien nur kurz gebunden. Es bleibt spannend. Schauen wir, was sich die Zeitungsverlage in Zukunft ausser Nachrichten einfallen lassen.
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© 2014 Hans-Jürgen John
Hans-Jürgen John ist Hans John (@rafaelofirst) auf Twitter und Hans.John.16 auf Facebook. Hans bloggt auf www.johntext.de und www.tage-bau.de
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